STARS TREFFEN STARSHOHER BESUCH ZUM JUBILÄUM
Das Städel feiert 200. Geburtstag
DER BESUCHER WIRDSEIN EIGENER BEOBACHTER
Museumsbilder von Thomas Struth
Im Bildausschnitt sind zwei berühmte Gemälde von Jacques-Louis David zu erkennen. David gilt als Hauptvertreter der klassizistischen Malerei im Frankreich des ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhunderts. Das Gemälde in der Bildmitte zeigt die Krönung Napoleons. Rechts davon ist die Geschichte vom Raub der Sabinerinnen dargestellt.
Die scheinbar zufällige Anordnung der Museumsbesucher im Raum wirkt bei näherer Betrachtung genau kalkuliert, als nähmen die Personen im Museum über ihre Positionierung und Körperhaltung direkt Bezug auf die Figuren in den Gemälden.
Die Besucher stehen andächtig vor der Darstellung der Krönung Napoleons und spiegeln damit die Haltung der Personen im Bild wider, die dem Ereignis ehrfürchtig beiwohnen. Vor dem Raub der Sabinerinnen wiederum sitzen die Besucher ganz ungeordnet – als wollten sie das Figurenarrangement der darin dargestellten turbulenten Szene nachahmen. Über das Medium der Fotografie schafft der deutsche Künstler Thomas Struth (*1954) eine Verbindung zwischen dem malerischen und dem realen Raum. Die einst miteinander konkurrierenden Medien Malerei und Fotografie treten in einen Dialog, der die Frage nach dem Abbild von Realität neu formuliert.
Thomas Struth nahm die Szene 1989 im Pariser Musée du Louvre auf. Weitere Fotografien der Serie Museumsbilder entstanden in der National Gallery in London, im Kunsthistorischen Museum in Wien und im Art Institute of Chicago.
Für Struth ist die Institution Museum nicht nur ein Ort der Kunstbetrachtung, sondern auch einer, an dem Kunst entsteht. Die Serie Museumsbilder spiegelt sein Interesse an Urbanität, Architektur und der Befragung der menschlichen Zivilisation. In der Auseinandersetzung mit Struths Arbeiten wird der Besucher unweigerlich dazu aufgefordert, sich seines Verhaltens gegenüber der Kunst bewusst zu werden und es kritisch zu hinterfragen.
APELLES UNDDER GELEHRTE
Quentin Massys trifft Willem van Haecht
Bis zur Decke des hohen Raums hängen Kunstwerke des 16. und frühen 17. Jahrhunderts dicht neben- und übereinander. Inmitten dieser beeindruckenden Szenerie sitzt Apelles, der bedeutendste Maler der Antike, vor der Staffelei. Er wirft einen prüfenden Blick auf sein Modell Kampaspe, die Geliebte Alexanders des Großen. Der Feldherr sieht dem Künstler voller Bewunderung bei der Arbeit über die Schulter.
Der Legende nach verliebte sich Apelles beim Porträtieren leidenschaftlich in die schöne Frau. Alexander erkannte dies und überließ Kampaspe dem Maler. Das Bild hingegen behielt er. In seinen Augen erschien sie im Gemälde sogar noch schöner als in Wirklichkeit. Mit der Darstellung dieser Legende verweist van Haecht auf die Vorrangstellung der Kunst gegenüber der Natur.
DER MALER UNDDER DICHTER
Tischbein in Italien
Während seiner Italienreise 1786 lebte Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) gemeinsam mit Johann Heinrich Wilhelm Tischbein und anderen Künstlern in einer Wohngemeinschaft in Rom. Für kurze Zeit entstand eine enge Freundschaft zwischen dem Maler und dem Dichter. Als Tischbein einige Jahre später Italien den Rücken kehren musste, ließ er das noch unfertige Porträt von Goethe an seinem letzten Wohnort in Neapel zurück. Es blieb undatiert und unsigniert.
Möglicherweise wurde das Gemälde später von einer anderen, weniger geübten Hand fertiggestellt. Das könnte eine Erklärung für den rätselhaften zweiten linken Fuß sein.
1887 gelangte das Werk als Schenkung von Adèle von Rothschild ins Städel Museum. Rasch entwickelte es sich zum Publikumsmagneten. Der Erfolg des Bildes lässt sich wohl weniger mit dessen malerischer Qualität als vielmehr mit dem Kult um den Dichterfürsten Goethe begründen.
OFFENETÜREN
Die Interieurs von Hammershøi
Zwischen 1898 und 1909 schuf Hammershøi etwa achtzig Innenraumdarstellungen. Dabei orientierte er sich an den tatsächlichen Gegebenheiten seiner Kopenhagener Wohnung. Das Backsteinhaus aus dem 17. Jahrhundert in der Strandgade 30 existiert noch heute. Hier lebte der Maler gemeinsam mit seiner Ehefrau Ida, die ihm oft Modell saß. Die ungewöhnlich schlichte Ausstattung ihrer Wohnung widersprach dem vorherrschenden Einrichtungsgeschmack.
Denn der Innenraum gewann Ende des 19. Jahrhunderts an Bedeutung: Zur Zeit der Industrialisierung wuchsen die Städte rasant; für ihre Bewohner stellte die eigene Wohnung den einzigen Rückzugsort vor dem schnelllebigen städtischen Treiben dar. Wer über die finanziellen Mittel verfügte, stattete seine Wohnräume mit üppig geschmückten Vorhängen, wertvollen Teppichen und verzierten Möbeln aus. In Hammershøis Bildern erzeugt jedoch nichts den Eindruck von heimeliger Geborgenheit.
INTERIEURS MIT IDA
Sie hat dem Betrachter den Rücken zugewandt. Ihr dunkles Kleid ist schlicht und unauffällig. Um sie herum stehen alle Türen offen. Verlängert man jedoch die Linien der Türkanten in den Raum hinein, wird Ida von ihnen geradezu umzingelt. Solche spannungsreichen Irritationsmomente sind charakteristisch für Hammershøis Werke.
1905 malte er eine weitere Version des Frankfurter Bildes. Offensichtlich war ihm diese Darstellung wichtig. Im direkten Vergleich werden feine Unterschiede deutlich: An der Esszimmerwand hängt nur eines der ursprünglich zwei Bilder. Neben Ida fehlt der kleine Beistelltisch. Insgesamt wurde die Bildperspektive tiefer angelegt.
Es scheint, als würde Hammershøi die Darstellung Möbelstück um Möbelstück reduzieren, um schließlich zu ihrem Kern vorzudringen.
„ALS ICH CAN“SO GUT, WIE ICH KANN
Jan van Eyck – Der Blick fürs Detail
VERKÜNDIGUNG AN MARIA
Van Eyck war sich seines herausragenden Könnens bewusst. In einer Mischung aus Demut und Stolz fügte er der Signatur seiner Werke häufig sein Motto „Als ich can“ – „So gut, wie ich kann“ – hinzu.
1850 ersteigerte Johann David Passavant als Vertreter des Städelschen Kunstinstituts die Lucca-Madonna. Auf derselben Auktion in Den Haag wurde auch Die Verkündigung an Maria nach einem heftigen Bieterstreit einem anderen Käufer zugeschlagen.
DAS WEIBLICHE IDEALSIMONETTA UND AURELIA
Sandro Botticelli trifft Dante Gabriel Rossetti
DIE KÖNIGIN DER SCHÖNHEIT
Für ein Idealbildnis spricht das für damalige Frauenporträts ungewöhnlich große Format. Anstelle eines harten Seitenprofils ist die Dame leicht dem Betrachter zugewandt. Ihre aufwendige Flechtfrisur mit Bändern, Perlen und Federn entspricht der zeitgenössischen Festtagsmode. Der porzellanhafte Teint, die hohe Stirn, die gesenkten Lider unter den sanft geschwungenen Brauen und die sinnlichen Lippen – diese feinen Gesichtszüge finden sich in mehreren Gemälden Botticellis wieder. Seine Frauenfiguren strahlen stets eine träumerische Melancholie aus.
Bei der Dame mit dem faszinierend schwermütigen Blick könnte es sich um Simonetta Vespucci (um 1453–um 1476). handeln. Die junge Frau aus Genua hatte in die vornehme Florentiner Familie Vespucci eingeheiratet. Sie scheint damals mit ihrer Schönheit die ganze Stadt in ihren Bann geschlagen zu haben. Giuliano Medici, einer der mächtigsten Florentiner seiner Zeit, hatte sie als seine Turnierdame und „Königin der Schönheit“ auserwählt. Nach ihrem frühen Tod 1476 wurde sie zur mythischen Kultfigur.
I look at the amorous beautiful mouth,
The spacious forehead which her locks enclose,
The small white teeth, the straight and shapely nose,
And the clear brows of a sweet pencilling.
Fazio degli Uberti, in der Übersetzung von Dante Gabriel Rossetti 2
DIE SCHÖNE GELIEBTE
Die beiden Werke entstanden im Abstand von fast vier Jahrhunderten. Im Vergleich des Bildthemas und der Komposition spricht vieles dafür, dass sich Rossetti eingehend mit Botticellis Idealbildnissen beschäftigt hat. Die Gegenüberstellung lässt die Diskussion um das weibliche Idealbildnis erneut aufleben.
LEICHTFÜSSIGE TÄNZERINNEN
Leidenschaft für die Oper – Edgar Degas
FREUNDE DER MUSIK
TANZ DER NONNEN
Das Ballett „Robert der Teufel“ zählt zu Degas' dichtesten und raffiniertesten Kompositionen. Als Inspiration diente Giacomo Meyerbeers gleichnamige Oper. Degas zeigt hier die berühmteste Szene: In einer Klosterruine erwachen tote Nonnen zum Leben. Mit ihrem furchteinflößenden, wild-exotischen Tanz versuchen sie Robert zu betören.
Die Dramatik des Geschehens wird durch die extreme Raumflucht betont. Geisterhaft verschwommen wirken die mit breiten Pinselstrichen unscharf dargestellten Tänzerinnen. Im Kontrast dazu stehen die klaren Konturen der Opernbesucher im Vordergrund.
JUDITH UND DELILAZWEI STARKE FRAUEN
Rembrandt trifft Artemisia Gentileschi
SIMSON UND DELILA – EIN SCHRECKLICHER VERRAT
Selten wurde der Moment der Blendung Simsons auf derart brutale Weise und so realistisch dargestellt. Nach dem schrecklichen Verrat wuchs Simsons Haar jedoch nach. Mit seinen wiedererlangten Kräften rächte er sich an seinen Widersachern. Zu Zeiten Rembrandts (1606–1669) wurde Simson als Einzelkämpfer gegen eine Übermacht zur wichtigen Identifikationsfigur für die holländische Führungsschicht.
Im Achtzigjährigen Krieg hatte die spanische Armada 1607 einen Überraschungsangriff in den Niederlanden gestartet. Die Spanier wurden jedoch vernichtend geschlagen und verloren ihre Vormachtstellung auf See.
JUDITH UND HOLOFERNES – EIN GRAUSAMER MORD
Als nun Holofernes auf seinem Bett lag, betrunken, und schlief […] trat Judith vor das Bett und betete im Stillen unter Tränen: Herr, Gott Israels, stärke mich, blick in dieser Stunde gnädig auf das Tun meiner Hände […] Sie […] griff nach seinem Schwert […] ergriff ihn beim Schopf und […] schnitt ihm den Kopf ab […] Kurz darauf ging sie hinaus und gab das Haupt ihrer Magd, damit sie es in ihren Sack steckte.
Aus dem apokryphen Buch Judith 3
Das Gemälde stammt von Artemisia Gentileschi (1593–um 1653). Als Frau konnte sie die Ausbildung zur Malerin nur deshalb absolvieren, weil ihr die Werkstatt ihres Vaters offenstand. Das Bildthema der Enthauptung und der weiblichen Selbstjustiz beschäftigte sie mehrfach.
Artemisia war selbst Opfer der gewaltsamen sexuellen Attacke eines Künstlerkollegen ihres Vaters geworden. Die damalige Gesellschaft suchte wie selbstverständlich die Schuld bei der Frau.
Allen Widerständen zum Trotz setzte sich Artemisia in einem Gerichtsprozess erfolgreich gegen ihren Vergewaltiger zur Wehr.
Die große Nähe der Figuren zum Betrachter verleiht der Szene eine gesteigerte Intensität. Im Gegensatz zu anderen Darstellungen der Geschichte ist die Dienerin hier aktiv an der Tötung beteiligt: Sie drückt den Oberkörper des Holofernes mit großer Anstrengung nach unten. Rembrandt muss diese Darstellung beeindruckt haben. Ob er sie als Zeichnung oder Nachstich gesehen hat, ist nicht bekannt.
KOLLEKTIVEANGST
Die „Horde“ von Daniel Richter
DÜSTERE GESTALTEN
Der deutsche Künstler Daniel Richter (*1962) setzt sich malerisch mit der Fotografie als Abbild der Realität auseinander. Ihn interessieren aktuelle Bilder aus Fernsehen, Internet und Printmedien. Protestaktionen, Katastrophen, Straßenschlachten, Bürgerkriege ¬– in den Gemälden seiner Werkreihe erzeugt Richter ein Gefühl von kollektiver Angst und Gewalt. Dog Planet und Horde verbindet das gemeinsame Bildthema und die malerische Offenheit. Was sie unterscheidet, sind der jeweilige experimentelle Umgang mit den Farben, den abstrakten Flächen und das Spiel mit Kontrasten.
EIN PORTRÄTWIE AUS STEIN GEMEISSELT
Picasso und Fernande
Fernandes Gesicht löst sich in rechteckige und rautenförmige Kuben auf. Picasso zeigt gleichzeitig mehrere Ansichten. So sieht man Kinn und Nase von unten und von vorn. Das Porträt diente als formaler Ausgangspunkt für Picassos erste kubistische Skulptur. Überraschend direkt hat er die flächige Malerei in eine dreidimensionale Modellierung übertragen. So entsteht ein enger Dialog zwischen Malerei und Skulptur.
Der Kubismus ist […] eine Kunst, der es vor allem um die Form geht, und wenn eine Form einmal geschaffen ist, dann ist sie da und lebt ihr eigenes Leben weiter.
Pablo Picasso, 1923 4
VON DER HAND EINESMEISTERZEICHNERS
Die Porträts von Hendrick Glotzius
GILLIS VAN BREEN
Am unteren linken Rand der Zeichnung findet sich die Inschrift „[…]llis van Breen“. Der Name taucht auch auf einem anderen Bildnis desselben Mannes auf. Wahrscheinlich war Gillis van Breen ein Kupferstecher oder Drucker in Haarlem. Goltzius fertigte zahlreiche Porträts von ihm an – ein Beleg für die offenkundige Freundschaft zwischen den beiden Männern. Die Zeichnung war nicht als Vorstudie, sondern als autonomes Kunstwerk gedacht. Das machte Goltzius mit der Signatur deutlich.
FREUNDSCHAFTS-BILDER
In Bildnis des Giambologna porträtierte er den Hofbildhauer der Bankiersfamilie Medici. Hier verzichtete er – wie überhaupt in den später entstandenen Porträts – auf die auffällige Signatur. Mit sparsamem Einsatz von roter und schwarzer Kreide erzielte der Künstler eine verblüffend malerische Wirkung. Den Oberkörper hielt er als lockere Umrisszeichnung mit schwarzer Kreide fest. Dadurch wird der farbige Kopf noch stärker betont. Innerhalb weniger Jahre hatte Goltzius extreme Fortschritte bei der Anwendung der komplexen Zeichentechnik gemacht. Diese Entwicklung wird besonders im direkten Vergleich der beiden Arbeiten deutlich.